Konzept
Idee (Angelika Reitzer)
Lange bevor ich Dichterinnen und Schriftsteller im echten Leben kennenlernte, kannte ich wie jedes steirische Kind Geschichten aus der Waldheimat über die drohende Armut inmitten schöner Natur, die Furcht vor der Entwurzelung und vor der Industrialisierung, aber auch den Willen, zu lernen und andere mit einer eigenen Geschichte zu unterhalten. Dass Peter Roseggers Aufwachsen in und sein Ausbrechen aus der Waldheimat ein fruchtbares Ausgangsmotiv für ein Musical für das BORG Kindberg, aber auch für das Mürztal und über die Steiermark hinaus sein kann, war bald klar. Einzelne Erzählungen Roseggers und darin aufgefundenen Themenfeldern wie Heimatsehnsucht und -verbundenheit, Neugierde und Dankbarkeit, Talent, Träume und ein eigener Weg, den es zu finden gilt, konfrontierten wir in Workshops mit der sozioökonomischen Welt der Waldheimat heute, Bildungsnähe und -ferne, Kunst und Kultur als Chance, aber auch als Ziel von Ressentiment und Fragen der Identität, Herkunft und Zukunft.
In dem Essay Wer wir waren schreibt Roger Willemsen von der Entwicklung eines Lebens in und mit der Digitalisierung. Wie ist das, wenn wir Geiseln unserer selbst organisierten Abwesenheit sind, geflohen auf die Displays. Weil aus dem Sinnieren und Flanieren ein Zoomen und Wischen und aus der Verdichtung komplexer Zusammenhänge Effekte geworden sind und alles im Leben gleichzeitig und aufmerksamkeitsheischend ist, das Leben selbst nur mehr in der Großaufnahme, im Superlativ besteht.
Die Oberflächlichkeit und die damit verbundenen Flachwurzeln mit Fake News und Spaltung in Gut und Böse, Schwarz und Weiß, dem Fehlen von Gesprächen und Auseinandersetzungen von Angesicht zu Angesicht sind leider ein passendes Bild für unsere Gegenwart und nahe Zukunft: als wäre die Erde eine Scheibe.
Willemsen schreibt auch, dass es kein Zufall sein könne, dass die größten Schöpfungsmythen im Wald begonnen haben. Deshalb wollte ich die Bedrohung unserer Umwelt und des Klimas als positiven Kipppunkt für dieses Musical hernehmen. In Wenn der Wald geht befreien sich die jungen Soldaten und Soldatinnen des durchdigitalisierten Lebens von ihrer Fron, sie brechen aus und besinnen sich gleichzeitig. Es geht nicht darum, das „Neue“ zu verteufeln, sondern es mit dem Alten zu verbinden. Empathie gegenüber den Menschen, aber auch der Natur und sich zu einem kompletten Menschen zu entwickeln, indem man sich eine Zukunft überhaupt wieder vorstellen kann.
Dabei ließ sich Laura Winkler direkt von Workshops mit den Schüler*innen am BORG inspirieren und baute deren Ideen und Stärken maßgeschneidert in ihre Kompositionen ein.
Besonders erfreulich war die Kooperation mit Florentina Schlemmer, die ihren eigenen Song Far away but still so near ins Stück eingebracht hat – passenderweise als eine der Soldiers, die ja bekanntlich die Welt schön schreiben. Der Song wird in der Handlung von Wenn der Wald geht von den Soldiers geschrieben, da greifen Fiktion und BORG-Realität magisch ineinander.
Musik (Laura Winkler)
Die Musik illustriert die unterschiedlichen Welten der Geschichte: Während die digitale Welt ins kühle Technoide geht, erklingt die Gruppe der kreativen Soldiers soulig im mehrstimmigen Satz.
IF schwebt auch klanglich über den Dingen, mit Spoken Word und elektronischen Elementen.
Die Losts lassen einen Hauch von Aussteigertum und Lagerfeuer-Klampfe anklingen und auch der geheimnisvolle Wald mit den Waldgeistern findet auf holzig-folkige Weise seinen eigenen Sound.
Dabei ließ sich Laura Winkler direkt von Workshops mit den Schüler*innen am BORG inspirieren und baute deren Ideen und Stärken maßgeschneidert in ihre Kompositionen ein.
Besonders erfreulich war die Kooperation mit Florentina Schlemmer, die ihren eigenen Song Far away but still so near ins Stück eingebracht hat – passenderweise als eine der Soldiers, die ja bekanntlich die Welt schön schreiben. Der Song wird in der Handlung von Wenn der Wald geht von den Soldiers geschrieben, da greifen Fiktion und BORG-Realität magisch ineinander.
Libretto – Story und Songtexte (Angelika Reitzer)
Soldat*innen in der Anstalt, draußen im dreckigen Wald eine (fast) verlorene Jugendliche, Waldgeister: Für dieses Stück braucht es nicht nur unterschiedliche Stimmen für die verschiedenen Charaktere, denn die Figuren(gruppen) leben zwar gleichzeitig, aber auch in verschiedenen Welten und irgendwie auch Zeiten – und das sollte man auch in den Lyrics wiedererkennen. Es ist eine besondere Herausforderung, Liedtexte zu schreiben, die musikalisch sind, lyrisch und überraschend, zeitgenössisch und – je nach Szene – poetisch, pathetisch oder (einfach) lässig. Die auch einiges von der Geschichte direkt erzählen, fühlen, zeigen und dabei aber weder banal, vereinfachend, noch belehrend sind.
Die gemeinsam entwickelten Figuren und möglichen Storylines in den Workshops am Beginn dieses Schreibprozesses, aber auch die Zugänge der Schüler*innen zu den Rosegger-Themen waren für die Autorin Angelika Reitzer eine starke Inspiration für eine neue Geschichte um die und in der Waldheimat.
Tanz (Anna Josefine Holzer)
Die choreografische Arbeit dreht sich für Anna Josefine Holzer um gegensätzliche Qualitäten und Welten und die Begegnung zwischen diesen beiden Polen. Einmal sehr mechanische Bewegungen und dann wieder weiche, fließende … Mit den Tänzer*innen versucht sie, Grenzen auszuloten und Gemeinsamkeiten in den Bewegungen zu finden und auch solistische Eigenqualitäten zwischen den Welten zu etablieren. Begegnungen und das eigene Können sollen auf allen Ebenen gefördert werden und die große Chance genutzt werden, sich in vielen verschiedenen Bereichen ausdrücken zu können. Texte, Musik und Figurenarbeit werden in den choreografischen Prozess integriert und dienen als Ausgangspunkte für kreative Explorationen. So entsteht ein interdisziplinärer Raum, der Bewegung, Geschichten und Emotionen verbindet und den Tänzer*innen erlaubt, ihre individuellen Stimmen in das Gesamtwerk einzubringen.
Digitale Bühne (Harald Ertl)
Wenn alles, was man kennt, nur blank und langweilig ist, muss man außerhalb des Käfigs schauen, um das Bunte zu finden. Sauber und Steril trifft auf die chaotische und bunte Welt außerhalb der aufgezwungenen Mauern. Mitten auf der Bühne steht ein großer Bildschirm im modernen Hochformat, wie wir es vom Handybildschirm kennen. Darauf sind Videos/Drohnenaufnahmen zu sehen, die inszenierte Sequenzen außerhalb des Theaters zeigen und auch die Schönheit von Bruck und Mürzzuschlag sichtbar machen. Die verschiedenen Gestaltungselemente und Medien auf der Bühne sollen den Konflikt zwischen digitaler Welt und Natur verdeutlichen und den Gegensatz zwischen futuristischem Style und konventionellem Theater thematisieren.
Kostüme (Lena Feitl)
Die Konzipierung der Kostüme basiert primär auf der im Text spürbaren Dichotomie der zwei erzählten Welten und deren Auswirkungen auf die in ihnen lebenden Protagonist*innen.
Die glatte, oberflächliche, fehlerfreie Welt der Digis/Soldiers trifft auf die strukturreiche, haptische, farbige Welt der Losts, die einen letzten Farbfleck auf einem großen, weißen Blatt Papier bildet.
Um die ebenmäßige Beschaffenheit der digitalen Welt zu unterstreichen, tragen die Digis ausschließlich weiße Alltagskleidung, von Kopf bis Fuß, und die Gruppe der Soldiers weiße Uniformen. Die Kostüme der Losts setzen sich aus bunter, upgecycelter Second-Hand-Kleidung zusammen, die wahllos zusammengestückelt und zigfach repariert wirkt, was das Leben fernab von Konsum und ständiger Verfügbarkeit widerspiegelt. Auf die Kostüme der Hauptfiguren Rosi (Soldiers) und Kim (Losts) wird ein besonderes Augenmerk gelegt. Rosis imaginäre Freundin (IF) ist – angelehnt an die visuellen Qualitäten eines Schattens – in schwarzem, transparentem Gewand gekleidet. Die Waldgeister tragen einheitliche, transparente Kleider und sind mit individualisierten Hüten ausgestattet, um die jeweilige Persönlichkeit/Funktion hervorzuheben.
Regie (Georg Schütky)
Alles rausholen. Alles zusammenhalten. Ermöglichen, dass sich die Gemeinschaft selbst überrascht und dabei nicht überfordert. Talente sehen und fördern, die im Schulalltag vielleicht manchmal zu kurz kommen, ist dabei etwas besonders Schönes. Wenn das gelingt, dann hat die Regie einen guten Job gemacht. Schließlich geht es beim Theatermachen ja um etwas, nämlich um uns Menschen. Im konkreten Fall auch um den Wald. Dessen Zerstörung. Die Zukunft. Ja, nichts weniger als unsere Zukunft. Deswegen fühle ich mich an dieser Schule auch einfach goldrichtig.